Bär und Mensch
Als ich vor 22 Jahren das erste Mal nach Kanada in den Yukon kam und eine Kanutour auf dem Big Salmon machte sagte ich mir: ich werde nirgendwo zelten, wo Bärenspuren sind! Meine Aussage konnte ich leider nicht halten. Denn der Yukon ist Bärenland. Hier wohnen ca. 10.000 Schwarz- und ca. 6.000 Grizzlybären. Als wir unsere Sinne wachgerüttelt hatten, fanden wir überall Bärenspuren. Fußabdrücke am Ufer, angefressene Lachse, Kot, Kratzspuren an Bäumen, sogar an ihren Markierungsbäumen fanden wir feine unscheinbare Haare.
Uns Europäern fällt es nicht leicht, ja es macht uns Angst, hier in Kanada mit Bären, Wölfen und Pumas plötzlich den Lebensraum teilen zu müssen. In Europa haben wir die großen Beutegreifer fast ausgerottet und vergessen, wie man sich in wilden Wäldern bewegt und sich angemessen gegenüber diesen Tieren verhält.
Die Indianer oder Native, wie sie sich hier selber nennen, leben hier schon seit tausenden von Jahren mit Bären, Wolf & Co zusammen und haben es gelernt respektvoll mit ihnen zu leben. Sie haben viele berührende Geschichten und Lieder, die beschreiben, wie man miteinander leben und voneinander lernen kann.
Bären in der Kleinstadt
Vor ein paar Jahren, als mein Freund Dan und ich nach Hause kamen, fuhr ein Polizeiwagen vor. Ich dachte noch, ob wir etwas angestellt haben könnten, da geht schon die Scheibe runter. Der Polizist sagt: Hey Leute, passt ein wenig auf, vor einigen Minuten haben wir einen Schwarzbär auf der Straße gesehen. Dan sagte „Danke für die Info“ und schon fuhr die Polizei weiter. Irritiert und unsicher fragte ich, was wir denn jetzt machen sollen. Er meinte nur „Wir halten die Augen offen, gehen rein und essen was.“ Das war alles!
Bären in der kleinen Stadt sind nicht ungewöhnlich. Jedes Jahr ziehen Schwarz- und Grizzlybären durch den Ort. Entweder sind sie gerade auf der Wanderschaft oder sie suchen Futter. Dan meinte, man muss ihnen die Futtersuche im Ort erschweren. Alles was sie fressen könnten, muss man wegsperren oder verschließen. Kompost, Mülleimer, Katzen-und Hundefutter, Elchfleisch und Fischabfälle von der Jagd.
Bärengeschichten. Der Klo-Grizzlybär
Am nächsten Morgen saßen wir in Heikes Caribou Café, tranken unseren super leckeren Café und tauschten die Neuigkeiten über den Bär im Ort aus. Bei der Gelegenheit erzählte uns unsere 70 Jährige Nachbarin eine nette kleine Bärengeschichte.
Sie war draußen im Garten auf ihrem Plumpsklo und wollte wieder ins Haus. Als sie die Toilettentür öffnet, steht da 5 Meter entfernt ein dicker Grizzlybär und fraß genüsslich ihre Gartenblumen. „So einfach ins Haus gehen ging nicht mehr“ sagte sie, da stand ja der Bär im Weg. Da habe ich laut gerufen: „Hey bear, go home, go home!“
Ich musste lachen, weil der Bär ja hier zu Hause ist.
Erst nach mehrmaligen Rufen schaute der Bär auf und bewegte sich langsam von der Toilettentür weg. „Dann bin ich ganz langsam an meinen Beeten vorbei ins Haus geschlichen“.
Neugierig fragten wir sie, was sie denn dann gemacht habe. Wir vermuteten, sie hätte sofort die Polizei angerufen oder sogar ihr Gewehr geholt. Aber nichts von alldem. „Ich bin rein und habe meinen Fotoapparat geholt. Ich wollte von dem Grizzly ein paar schöne Fotos machen“. Als sie aber rauskam war er schon weiter gezogen, alles was sie von ihm noch sah, war sein dicker Hintern, wie er auf der Straße entlangwackelte. Schmunzelnd meinte sie „Ja, hier im Yukon beginnt das wilde Land direkt hinter dem Kompostklo.“
Crazy Dog & Running Bär
Klar, eine Geschichte lockt natürlich die nächste Geschichte.
Ebenfalls ein Nachbar, hier im Dorf sind alle Nachbarn, ging mit seinem Hund in den Bergen wandern.
Clevere Hunde sind gute Bärenanzeiger und halten Meister Petz für gewöhnlich mit ihrem Gekläffe schön auf Distanz. Dieser Hund war nicht ganz so clever. Aber der Reihe nach.
Er war also mit seinem Hund unterwegs, plötzlich fing er an zu knurren. Earl wusste, das ist das typische Knurren für was „Dickes“. Bei drei war der Hund auch schon los. Mit lautem Gekläffe suchte er nach dem dicken Gesellen. Das Gekläff wurde leiser und verschwand schließlich in der Ferne. Earl sagte noch zu sich, guter Hund. Nach kurzer Zeit wurde das Hundegebell aber wieder lauter. Der Hund kam wieder zurück. Seine Stimme war aber immer noch verdächtig aufgeregt.
Die Lösung des Rätsels kam ihm in Form eines dicken Schwarzbären, der im schnellen Galopp auf dem Pfad entlang sauste. Dicht auf seinen Fersen, Earls kläffender Hund. Die Einheimischen im Café fingen an zu schmunzeln, die Touristen wiederum wollten mit aufgerissenen Augen wissen, wie es weiterging.
Earl meinte nur trocken: Keine schöne Situation. Sein Hund trieb den Bären direkt auf ihn zu. Die Antwort auf die Situation konnte nur heißen: So schnell wie möglich auf einen Baum! Earl grinste und meinte, so schnell wäre er noch nie auf einen Baum geklettert. Das Verrückte an der Geschichte war, dass der Bär vor lauter Angst ebenfalls auf einen Baum kletterte und zwar auf den gleichen Baum, auf dem Earl saß. Da saßen nun beide wie in einem schlechten Slapstick Film im gleichen Baum und unten bellte zu allem Überfluss noch der Hund.
Beide, Earl und der Bär wussten nicht so recht, wie ihnen geschah. Es dauerte eine ganze Weile, bis Earl seinen Hund davon überzeugen konnte, still zu sein und unter dem Baum zu verschwinden. Nach einer gefühlten Ewigkeit verschwand schließlich der Hund, der Schwarzbär kletterte vom Baum und verschwand im Bush.
Was für eine Aufregung und was für eine Komik!
Bei diesem skurrilem Bild fing das ganze Café laut an zu lachen. So eine verrückte Geschichte hätten sie schon lange nicht mehr gehört
Bären sind keine Monster
Natürlich gibt es auch andere Geschichten, die nicht so glimpflich ausgehen. Tödliche Unfälle sind zum Glück selten. Die Unfälle, die im Yukon mit Bären passieren, sind zu 98 % menschlich verschuldet. Meist kommt es zu Konflikten wenn Menschen essbare Abfälle rumliegen lassen oder keine gebührenden Mindestabstände zu den Bären einhalten. So etwa, wenn Leute versuchen so nah wie möglich an einen Bären ranzukommen, um Fotos zu machen oder Bären aus dem Auto heraus füttern.
Das Traurige an der Geschichte ist, das Bären oft für das Fehlverhalten der Menschen mit ihrem Leben bezahlen müssen. Bären, die den Menschen wiederholt zu nahe kommen werden geschossen. Wer im wilden Land und damit im Wohnzimmer der großen Jäger unterwegs ist sollte ihre Verhaltensweisen verstehen lernen und sich ihnen gegenüber respektvoll verhalten.
Bären beobachten, Bären verstehen
Diesen Sommer hatte ich viel Zeit, Bären zu beobachten. Ich wollte ihre Verhaltensweisen studieren und Fotos machen. Im Frühjahr Mitte Mai, wenn Schnee und Eis schmelzen und die ersten Pflanzen hervorkommen ist die beste Bärenzeit. Wenn sie aus ihrem Winterschlaf erwachen, haben sie einen Bärenhunger. Das beste und frischeste Futter finden sie um diese Zeit entlang der Straßen. Hier wächst massenhaft Löwenzahn. Bären lieben Löwenzahn. Morgens früh um 6.00 h schnappte ich meine Kamera und fuhr mit dem Auto die Straße entlang. Das Schöne am Auto ist, wenn man behutsam fährt, flüchten die Tiere selten. Aus nächster Nähe konnte ich Bären, Elche, Bergschafe, Stachelschweine, Hirsche und andere Tiere beobachten.
Als Europäer hatte ich keine Erfahrung mit Bären. Sie faszinierten mich, machten mir auch gleichzeitig Angst. Dank eigener Beobachtungen und dank der Erfahrungen und des Wissens meines Freunds Dan, der hier im Yukon lebt, hat sich meine Sicht auf Meister Petz verändert. Meine anfängliche große Angst ist verschwunden, stattdessen bin ich viel aufmerksamer, achte auf Spuren und auf saubere Camp Plätze und halte einen respektvollen Abstand.
Meine Achtung vor diesen Tieren, die in dieser wilden Landschaft, Sommer wie Winter, überleben, ist riesig!
Die Fellfarbe von Schwarzbären variiert von schwarz über braun bis hellblond. Im allgemeinen sind Schwarzbären kleiner als Grizzlybären und haben keinen „Buckel“. Das bedeutet, das Hinterteil ist beim Schwarzbären höher oder gleichhoch wie die Schulter.
Video von Dan Paterson
Weil dieser Grizzlybär fast weiß war, nannten ihn die Einheimischen „Spirit Bear“.
Grizzlybären gehören zu der Gruppe der Braunbären. Somit ist er nahe verwandt mit unserem europäischen Braunbär. Grizzlybären leben im Yukon mehr im Inland in den Bergen, Braunbären dagegen in Alaska mehr küstennah. Grizzlybären haben wie alle Braunbären auch einen „Buckel“. Somit ist die Schulter der höchste Punkt und nicht wie beim Schwarzbär das Hinterteil.
Video von Dan Paterson
Auf diesem Video ist ein Alaska-Braunbär zu sehen und kein Grizzly, wie ich im Film fälschlicher Weise erzähle. Braunbären sind größer und schwerer als Grizzlybären. Es gibt Tiere die bis zu 700 kg wiegen. So schwer wie eine Kuh! Das Durchschnittsgewicht liegt jedoch bei ca. 300 kg. Immer noch genug.
Die Aufnahme stammt aus Haines/Alaska. Hier wanderten gerade tausende von Lachsen. Diesen Kollegen konnte wir an der Straße friedlich Löwenzahn fressen sehn.