Geboren bin ich 1961 in Düsseldorf und verbrachte dort meine Kindheit und Jugend. Mit 26 zog ich raus aufs Land, ins Weserbergland, und bekam dort meine beiden wunderbaren Töchter. Von Beruf bin ich Gas- und Wasserinstallateur-Meister und führte bis 2008 meinen eigenen Betrieb. Meine Berufung ist jedoch die Vogelkunde und als Wildnislehrer und Mittler, Menschen wieder stärker mit der Natur zu verbinden. Ein besonderes Anliegen ist mir das verbindende Wissen der indigenen Völker vom ganzheitlichen Lernen und Leben mit der Natur.
1998 gründete ich meine Natur- und Wildnisschule und biete bis heute Seminare zu praktischen Wildnisthemen an, leite Visionssuchen, bilde Wildnispädagogen aus und paddle mit abenteuerlustigen Menschen in der kanadischen und polnischen Wildnis. Darüber hinaus habe ich mittlerweile Bücher, CDs und DVDs zum Thema Vogelsprache und Naturverbindung veröffentlicht. Ich bin Jäger, Falkner und begeisterter Bogenschütze. Heute wohne ich im schönen Allgäu, dort, wo der Steinadler fliegt.
Ralph Müller
Der Anfang
Rückblickend betrachtet wird vieles in meinem Leben deutlicher: meine Kindheit verbrachte ich in der Stadt. Wir spielten auf der Straße Fußball, zogen mit unserer Gang durch die Hinterhöfe und ließen auf den damals noch vorhandenen Wiesen Drachen steigen. Den Wald kannte ich nur vom Brombeersammeln mit meiner Mutter oder wenn wir mit dem Fahrrad zum Unterbacher See zum Baden fuhren.
Schon oft wurde ich gefragt, ob es in meiner Jugend ein Schlüsselerlebnis gab, bei der meine Leidenschaft für die Natur und die Vögel erwachte. Woran ich mich jedoch gut erinnere, ist, dass ich als Dreizehnjähriger stundenlang allein in den Stadtparks der Düsseldorfer Innenstadt unterwegs war, um Vögel zu füttern und sie aus nächster Nähe zu beobachten.
Eines Tages fand ich zwischen parkenden Autos eine junge Straßentaube. Ich nahm sie mit nach Hause und, oh Wunder, ich durfte sie behalten und aufziehen. Da wir im ersten Stock in einer Mietwohnung wohnten und keinen Garten hatten, durfte ich sie sogar in meinem Zimmer halten, und zwar nicht in einem engen Käfig, sondern frei fliegend! Die einzige Auflage, die ich hatte, war mein Kinderzimmer mit Zeitungspapier auszulegen und die verschmutzten Zeitungen jeden Tag zu wechseln. Ab diesem Zeitpunkt blieb diese Taube natürlich nicht mein letzter Gast. Zeitweise hatte ich bis zu drei Straßentauben in meinem Zimmer und später in meiner Jugend kamen noch zwei Turmfalken und ein Waldkauz dazu. Aus dieser Zeit kommen viele berührende Geschichten. Die Vögel wurden zu meinen Freunden und lernte mit ihnen zu komunizieren. Alle hatten sie ihre Eigenarten und Besonderheiten. Bis heute kann ich nicht an verletzten Vögeln vorbeigehen. Ich pflege sie entweder selbst oder bringe sie in Vogelauffangstationen.
Meine beiden Töchter
Meine Leidenschaft erwachte
Mit 14 Jahren explodierte mein Verständnis über die Natur und die Vogelwelt. Ich lernte meinen ersten Ornithologen und Vogelmentor, Ernst Zimmermann, kennen. Bis dahin kannte ich nur „Stadtvögel“, jetzt zogen wir von früh bis spät durch Wiesen und Wälder und beobachteten balzende Baumfalken, jagende Eisvögel und Graureiher, lauschten in der Dunkelheit den geheimnisvollen Rufen der Waldkäuze und freuten uns über dem wunderbaren Gesang der Nachtigallen. Die Welt um mich herum wurde plötzlich riesig, es gab so viel zu entdecken. Es war ein einziges großes Abenteuer.
Mit 15 Jahren arbeitete ich ehrenamtlich über zehn Jahre lang beim BUND (Bund für Natur und Umweltschutz Deutschland) im praktischen Artenschutz. Etwas später packte mich die Vogelforschung. Über vier Jahre fing ich mit Netzen Vögel, beringte sie mit kleinen Aluminiumringen und studierte ihre Lebensweise und ihr wunderbares Gefieder.
Zwischen dem 13. und dem 25. Lebensjahr war meine intensivste Lehrzeit. Mit meinen Naturschutz- und Vogelfreunden war ich ständig unterwegs. Wir suchten nachts die Brutplätze von Schleiereulen und Uhus, fingen und beringten Vögel, machten Bestandsaufnahmen von Nachtigallen, Eidechsen und Libellen, buddelten Tümpel für Frösche, Kröten & Co., pflegten Kopfweiden, damit sie nicht auseinanderbrachen, hielten Vorträge über Artenschutz und lebendige Naturgärten, boten Exkursionen an und wehrten uns gegen die Begradigungen von Bachläufen, das Fällen von Hecken, gegen selbstherrliche Jäger und die Naturzerstörung durch Müllkippen und Golfplätze.
Meine Vogelleidenschaft war so groß, dass ich mit 18 Jahren alle Vögel Europas, Nordafrikas und des mittleren Ostens kannte, über 750 Vogelarten, dazu einige Irrgäste aus Nordamerika und dem asiatischen Raum, die sich manchmal bis nach Europa verflogen. Damals planten wir unsere Ferien und Urlaube immer so, dass wir möglichst viele Vogel- und Tierarten sahen.
Über die Hälfte der 750 Vogelarten kannte ich bereits aus eigenem Erleben, den anderen hoffte ich eines Tages zu begegnen. Ein wichtiger Schlüssel, um Vögel zu entdecken, ist ihre Stimme. Stundenlang saß ich im Wald, lauschte ihren Gesängen, oder folgte ihren Stimmen, bis ich sie sah. Es machte mir solch einen Spaß, bis ich schließlich in unserer Gegend alle Vogelarten an ihrer Stimme erkennen und die meisten davon sogar noch täuschend echt imitieren konnte. Ich lernte nicht nur ihre Stimmen, um sie zu erkennen, sondern begann langsam ihre Sprache, ihre Kommunikationsweise zu verstehen (Vogelsprache). Ich verstand ihre Warnrufe, wenn ein Habicht oder Sperber kam und ich wusste, wie es sich anhört, wenn die Vögel einen Waldkauz entdeckt hatten. Erst viel später hörte ich, dass indigene Völker davon redeten, dass Vögel sprechen können und sich über Gefahren und viele andere Dinge im Wald unterhalten. Für einen Außenstehenden musste sich das merkwürdig anhören, für mich aber nicht. Im Gegenteil, es spornte mich an, noch mehr von ihrer Sprache zu erfahren und zu verstehen. Mein Bewusstsein für die Vogelsprache war geboren.
Der Traum vom Förster
Die Schule war für mich eine Tortur. Das Schulsystem ging gegen meine Natur. Ich wollte mich bewegen, draußen sein, praktisch lernen und erfahren, wie das Leben geht. Nachdem ich das 10. Schuljahr vollendet hatte, nahm ich meine ganzen Schulsachen, Bücher, Hefte, alles was ich finden konnte, warf sie auf einen großen Haufen und zündete ihn an. Was für ein Freudenfeuer, es war vorbei.
Mein Traum war es, Förster zu werden, aber ohne Abi und Studieren konnte ich das vergessen. Da ich gut mit Werkzeugen umgehen konnte und mein Vater Gas- und Wasserinstallateur war, lernte ich Installateur. Drei Jahre nach meiner Lehre ging ich auf die Meisterschule, machte den Meister und eröffnete 1995 meinen eigenen Betrieb. Mein Spezialgebiet wurde ökologisches Bauen: planen und installieren von Sanitär-, Solar-, Regenwasser- und Heizungsanlagen, alles was zu einem umweltfreundlichen Haus eben dazugehört.
Wanderschaft, in die Welt gehen
Meine Naturverbundenheit und meine Liebe zu den Vögeln begleiteten mich auch während meiner Ausbildung und Selbstständigkeit. Ich arbeitete, um zu leben und nutzte jede Möglichkeit, um meinem inneren Ruf zu folgen. Ich musste einfach raus, um Vögel und andere Tiere zu beobachten. Meine Kreise wurden immer größer und schließlich folgte ich meinen gefiederten Freunden in die Ferne, in ihre Brut- und Überwinterungsgebiete. Ich suchte die Schneeeule und den Steinadler in den Weiten Lapplands, ließ mich verzaubern von dem gigantischen Vogelzug in den Wüsten von Israel, folgte im Dschungel von Costa Rica den Spuren des Jaguars und den Rufen der mythischen Quetzals und ließ mich tief berühren von der kanadischen Wildnis. Je einsamer und wilder es war, desto besser.
Im Nachhinein verstehe ich, was mich in die Wildnis gezogen hat. Ich suchte das einfache Leben, die Stille, die ursprüngliche Verbundenheit mit dem Land und ihren Bewohnern, den Pflanzen und Tieren. Herausforderung, Selbstfindung und Sinnsuche in einem. Ich war auf dem Weg, mich von den gesellschaftlichen Normen und Vorstellungen zu lösen, ich war auf der Suche nach mir selbst und nach meinem ureigenen Lebensweg. Wer bin ich? Was kann ich und wie geht das Leben?
In dieser Zeit setzte ich mich viel mit der Naturverbundenheit und Lebensphilosophie der Naturvölker auseinander. Den äußeren Weg in der Wildnis bin ich lange gegangen und habe viel gelernt, nun war der innere Wildnisweg dran. Feuer, Wasser Luft und Erde, der alte Weg der Heilung.
Ich lernte den Weg der Visionssuche, ein altes Ritual, bei dem man vier Tage und vier Nächte, fastend und allein im Wald oder in den Bergen sitzend Zwiesprache hält und sich seinen Ängsten und Befürchtungen stellt. Die Kraft heben, die im Verborgenen und Gebundenen liegen.
1998 machte ich Nägel mit Köpfen und gründete parallel zu meinem Sanitärbetrieb meine Natur- und Wildnisschule. Ich konnte nicht anders, ich musste das tun, sonst wäre ich geplatzt oder verdorrt. Es war an der Zeit, meine Erfahrungen und mein Wissen weiterzugeben. Das Wissen der Wildnis, das Wissen über die äußere und innere Natur und wie ich mich wieder mit der natürlichen Welt verbinden kann, ohne Angst, sondern mit Respekt und Achtung.
Meine Natur- und Wildnisschule ist im stetigen Wandel, Dinge kommen und gehen. Heute biete ich Seminare zu praktischem Wildniswissen an, zum Beispiel die Kunst in der Natur zu leben, die Sprache der Vögel verstehen zu lernen, Feuer zu machen ohne Streichhölzer, das Wissen um essbare Wildpflanzen, Bogen bauen, Coyoteteaching – die Kunst des Lehrens u. v. m. Aber auch Wildnispädagogik, Naturmentoring – der Lebensweg des Lernens und Lehrens, Visionssuche und Wildnisreisen nach Kanada und Polen. Altes Wissen für eine neue Zeit.
Das Ende ist mein Anfang
2007 hatte ich einen schweren Autounfall. Ich fuhr frontal gegen einen Baum und hatte das große Glück, ohne Verletzung überlebt zu haben. Die Linde, gegen die ich fuhr brach zusammen und mein Auto hatte Totalschaden. Beide opferten sich, damit ich leben konnte. Ich bin dankbar, dass meine Schutzgeister mich noch nicht in eine andere Welt haben gehen lassen. Später bekam ich zu hören, dass ich auf der Erde noch etwas zu tun hätte. Es stand für mich eine große Veränderung an. 2008 schloss ich meine Sanitärfirma, verließ nach 20 Jahren das Weserbergland und ging ins Allgäu, um mein Versprechen mit mir, ein Buch zu schreiben, einzulösen. Ein Buch über die Verbundenheit mit der Natur und der Vögel. 2010 erschien im At-Verlag mein erstes Buch „Die geheime Sprache der Vögel“.
Und das ist noch nicht alles, das Leben geht weiter.
Ralph Müller in Kanada